Man fragt sich, warum in der Politik seit so vielen Jahren immer wieder erratische Entscheidungen getroffen werden – ein einziges Hin und Her ohne roten Faden.
Thema Rentenzugang: Im März 2007 hatte der Bundestag beschlossen, dass das bisherige Rentenalter schrittweise angehoben wird – weil die Menschen immer älter werden und das Rentensystem darunter ächzt. Ab 2029 wird der normale Rentenzugang bei 67 Jahren liegen.
Die schrittweise Erhöhung des Rentenzugangs begann 2012 – und gerade mal zwei Jahre später gab es die erste Rolle rückwärts. Am 01.07.2014 – es war die Zeit der ersten Großen Koalition - trat das Rentenpaket in Kraft. Slogan der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: „Nicht geschenkt. Sondern verdient“. Und: „Gebrachte Leistung wird bisher nicht ausreichend gewürdigt“. Sogenannte „besonders langjährig Versicherte“, die auf mindestens 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung kommen, können seit Mitte 2014 mit 63 Jahren die volle abschlagsfreie Rente nehmen – zwei Jahre früher als sonst. Zwar steigt seit zehn Jahren auch das Zugangsalter dieser Arbeitnehmer an – es besteht jedoch wegen des gleichzeitigen Anstiegs bei den „normalen“ Rentnern immer ein Abstand von rund zwei Jahren.
Das Bundesarbeitsministerium ging damals von jährlich 200.000 Berechtigten aus, davon würden aber nur 50.000 die Rente mit 63 beantragen. Wie kam es wirklich? Bereits in den verbleibenden sechs Monaten des Jahres 2014 gab es 151.000 Anträge. Und seither lag die Zahl der Anträge immer zwischen 237.000 und 274.000 pro Jahr. Die bisherige Höchstzahl wurde 2023 mit 279.000 Anträgen erreicht. Also fast sechsmal so viele wie prognostiziert. Im Kreis Mettmann lag der Anteil der Anträge auf die Rente mit 63 im Jahr 2022 bei den Männern bei rund 40 Prozent.
Seit Jahren wird nun über die Sinnhaftigkeit der Rente mit 63 gestritten, führende Fachleute bis hin zum Rat der „Wirtschaftsweisen“ fordern eine Streichung.
Und was macht die Politik? Sie hebt eine „Wachstumsinitiative“ aus der Taufe, mit der sie die Beschäftigung im Rentenalter fördern will. Rentner sollen weiterarbeiten und sich die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung direkt auszahlen lassen. Wer über die Regelaltersgrenze hinaus arbeitet, kann eine sozialabgabenfreie „Rentenaufschubprämie“ in Anspruch nehmen.
Das klingt zuerst einmal gut – hat aber einen Nachteil: es wird wieder viel Geld kosten. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände geht davon aus, dass die Beitragszahler dadurch mit rund 1,7 Milliarden Euro jährlich belastet werden. Während auf der anderen Seite die Rente mit 63 weiterbesteht, die einzelne Versicherte begünstigt und den Beitragszahler ebenfalls jährlich wohl Milliarden kostet. Das Bundesarbeitsministerium sah sich allerdings auf eine Anfrage vom Februar 2024 nicht in der Lage, die Mehrkosten der Rente mit 63 zu beziffern.
Statt einfach Anreize zur Frühverrentung ersatzlos zu streichen, soll nun nochmals der Beitragszahler für zweifelhafte Anreize für längeres Arbeiten zur Kasse gebeten werden. Von wegen roter Faden in der Politik.
Dr. Axel Mauersberger
Geschäftsführer