Mitte Januar dieses Jahres rutschte vor dem Höseler Bahntunnel ein Hang ab, der 150 Jahre stabil gewesen war, und führte zur Streckensperrung der S6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Hangrutsch eine langfristige Folge des Klimawandels ist, schleichend ausgelöst durch die Stürme Kyrill und Ela, die dem Hang bereits zugesetzt hatten, und die Starkregenereignisse der letzten Jahre.
Die deutsche Bahn rechnete im Frühjahr noch damit, die Reparaturarbeiten innerhalb von drei bis vier Monaten abschließen zu können und dann wieder einen planmäßigen Pendelverkehr zwischen Essen, Ratingen und Düsseldorf sicherzustellen.
Inzwischen wissen wir, dass aus den wenigen Monaten mindestens zwei Jahre werden. Dies verkündete Hans Mattevi von der DB InfraGO AG auf der unter anderem vom Bezirksausschuss Hösel/Eggerscheidt beantragten Sondersitzung zum Thema S6 Anfang Juli 2024. Demnach muss für dieses jetzt als Neubauvorhaben klassifizierte Projekt ein komplettes Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Dafür wird eigentlich eine Laufzeit von 24 Monaten veranschlagt, eine Frist, die aufgrund der Dringlichkeit des Projektes auf 18 Monate verkürzt werden soll.
Das Planfeststellungsverfahren kann voraussichtlich Anfang nächsten Jahres begonnen werden. Als realistischer Termin für den Abschluss der Planung und der anschließenden Arbeiten wurde das Jahr 2026 genannt.
Für die Stadt Ratingen ist der Ausfall der S6 ein herber Verlust, für den Wirtschaftsstandort, besonders die in Ratingen Ost angesiedelten Unternehmen, eine extreme Einschränkung und für die vielen Ein- und Auspendler, die auf die Bahnverbindung angewiesen sind, eine Katastrophe. Dies wurde deutlich bei der Sondersitzung, bei der einigen anwesenden Besucher*innen bei den genannten Zeithorizonten die Tränen in den Augen standen.
Für mich als Besucher und Vertreter der Wirtschaft stellten sich nach der fast vierstündigen engagierten und konstruktiven Diskussion zwei Fragen. Warum muss ein Planfeststellungsverfahren im Zeitalter von Internet, E-Mail und Cloudsystem 24 bzw. 18 Monate dauern? Diese Fristen orientieren sich eher an früheren Verwaltungsverfahren mit Schreibbüros, Aktenordnern und Postversand, was nicht mehr zeitgemäß ist. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen können wir nicht infrage stellen, aber wir sind aktuell die Leidtragenden.
Die zweite Frage ist, warum ein zunächst als Instandhaltungsprojekt ausgewiesenes Vorhaben, das ohne vorgeschaltetes Planfeststellungsverfahren hätte realisiert werden können, nun als Neubauprojekt klassifiziert wurde. Diese Einordnung wird übrigens von bahneigenen Juristen vorgenommen, wie wir auf der Sitzung erfahren durften. Außerdem ist noch anzumerken, dass Kosten für Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen von der Bahn getragen werden müssen, während Neubauprojekte vom Bund finanziert werden. Es liegt auf der Hand, dass die bahneigenen Juristen ein völlig anderes Interesse verfolgen als die betroffene Stadt Ratingen.
Mit der Entscheidung für ein Planfeststellungsverfahren wird außerdem die Tür für neue Einsprüche gegen dieses “Neubauprojekt" geöffnet, was die genannte Durchlaufzeit noch mal verlängern dürfte. Hinter vorgehaltener Hand hörte man an dem Abend von einigen informierten Politikern, dass selbst das Jahr 2026 unrealistisch erscheine und man sich eher auf 2027/28 einstellen sollte.
Mit dem Ausfall der S6 wird Ratingen wieder zurück in die Jahre vor 1872 katapultiert, als die Bergisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft mit dem Bau der Trasse von Essen-Kupferdreh nach Düsseldorf begann. Diese Bahnstrecke erwies sich damals als regelrechter Wirtschaftsbooster für Ratingen, vergleichbar mit dem Flughafen heute, da sich entlang der neuen Verkehrsachse sukzessive namhafte Industrieunternehmen wie die DAAG, später Calor-Emag, die Ratinger Maschinenfabrik, Balcke-Dürr, Besta und Pulch ansiedelten.
Extreme Wetterbedingungen werden mit dem Klimawandel zunehmen und damit auch akute Schäden an unserer Infrastruktur verursachen. Im Sinne der Nachhaltigkeit müssen für deren Reparaturen neue robustere Lösungen gefunden werden. Wenn solche Reparaturprojekte als Neubau mit vorgeschalteter Planfeststellung klassifiziert werden, dürfte unsere bereits heute marode Infrastruktur völlig zum Erliegen kommen.
Die Abwägung, ob ein Vorhaben als Neu- oder als Ersatzprojekt eingestuft wird, sollte von unabhängiger Stelle und nicht von einer im Eigeninteresse handelnden Organisation erfolgen. Vielleicht finden unabhängige Juristen zum Wohle der Gesellschaft für die Ratinger S6-Linie doch noch eine Lösung, die Zeitschiene des für unsere Stadt so wichtigen Projekts zu verkürzen.
Olaf Tünkers
Vorstandsvorsitzender UVR